8/10
Die
Hypemaschine läuft auf Hochtouren. Alle einschlägigen Musikwebsites
werfen mit Höchstwertungen um sich, das Feuilleton gleicht einem aufgescheuchten Bienenschwarm und sogar Onkel Lou kommt aus seinem
Loch gekrochen, da er alles voll super findet. Schuld an dem Aufruhr
ist ein bescheidener, mittlerweile nicht mehr ganz so junger Mann aus
dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Gut, das mit dem bescheiden
war gelogen. Das mit den unbegrenzten Möglichkeiten wohl auch, aber
dazu später mehr.
Die
Rede ist natürlich von Kanye West, der sich selbst ziemlich okay
findet und auch nicht müde wird, dies der Welt mitzuteilen. Wenn er
nicht gerade den Großkotz heraushängen lässt, oder US-Präsidenten beschimpft, nimmt West Platten auf. Und was für
welche! HipHop alter Schule ist ihm schon seit Jahren zu langweilig,
deshalb experimentiert er mit allen möglichen Genres, mal kaum
(„808s and Heartbeats“) mal sehr („My beautiful dark twisted
fantasy“) überzeugend. Man kann ihm ja vieles vorwerfen,
mangelnden künstlerischen Mut aber sicherlich nicht. West wagt viel,
gerade in musikalischer Hinsicht. Und wenn er damit kolossal auf die
Schnauze fliegt, steht er wieder auf und tut so als wäre nichts
gewesen - Grammys kriegt er ja sowieso jedes Mal.
Denn
er ist schon lange nicht mehr der Rapper Kanye West, er ist der
Trendsetter, der neue Mozart, die definitive Verbindung aus Cash- und
Rhymeflow. Kanye war gestern, „Yeezus“ ist heute.
Ja, es
gibt ein neues Kanye-Album, wider Erwarten enthält es tatsächlich
Musik. Und da wir hier ja unter uns sind, gebe ich auch gleich
freimütig zu, dass ich diese Musik ziemlich großartig finde. Zehn
Lieder sind auf „Yeezus“, nach gerade einmal vierzig Minuten ist
der Spaß auch schon wieder vorbei. Bedenkt man aber, wieviele Ideen,
Stile und Brüche sich in diesen vierzig Minuten befinden, scheint
die Länge angemessen. Viel mehr „Yeezus“ würde man schlicht
nicht aushalten.
Denn
Kanye ist auf 180, dieser Mann macht keine Gefangenen. Das Feuerwerk,
das in den ersten vier Tracks abgebrannt wird, lässt olympische
Siegerehrungen wie Silvesterabende in deutschen Reihenhaussiedlungen
aussehen. „On sight“, der Opener, macht sofort klar, was die
Stunde geschlagen hat. Der puristische Synthiebeat kratzt und faucht,
und West spuckt seine Zeilen als ob der Teufel hinter ihm her wäre.
Und plötzlich bricht der Song in der Mitte auseinander, ein
heimelige Soulmelodie erschallt. Alles doch nicht so schlimm? Von
wegen. Mit Macht drängen sich die an kaputte Gameboys erinnernden
Klänge zurück in den Vordergrund. Das ist Post-Rock.
Das
deutlich von Depeche Mode beeinflusste „Black Skinhead“ führt
den Loudness War auf eine neue Eskalationsstufe. Und dann dieser
Text: „I'm aware, I'm a wolf / soon as the moon hit / I'm aware,
I'm a wolf / back out the tomb, bitch / black out the room, bitch.“
Und auch wenn der gute Kanye im Geschichtsunterricht nicht ganz so
gut aufgepasst zu haben scheint („I keep it 300, like the Romans“),
ist seine Botschaft unmissverständlich: Scheiß Rassismus, scheiß
Doppelmoral. Dass er sich dabei auch wenig ans eigene Bein pinkelt,
mag ihm wohl bewusst sein, einen Unterschied macht es nicht, denn
Kanye... ist Gott.
„I
am a god“ beginnt mit einem Schrei, bevor unheilverkündende
Samples über den Hörer hereinbrechen und ein fies grummelnder
Basssound, der Subwooferherstellern die Freudentränen in die Augen
treiben dürfte, sich breitmacht. Düster brütet der Rhythmus, Kanye steigert sich
Vers um Vers, bis auch dieser Song in seine Einzelteile zerbricht und
nur Urschreie übrigbleiben. Gastsänger Justin Vernon
verkündet: „Ain't no way I'm giving up, I'm a god.“ Wessen Gott
ist West? Sein eigener? Vielleicht verarscht er uns auch einfach alle
und spielt uns den großen Zampano nur vor. Künstlertum als Marketingstrategie.
Wenn
er uns verarscht, dann allerdings auf allerhöchstem Niveau. Es mag
diskutabel erscheinen, ob Wests politische Message tatsächlich mehr
als bloßes Heischen um Aufmerksamkeit ist. Fest steht, dass West
eine Message hat, vor allem zwischen den Zeilen. Das große Kind
möchte beachtet werden, und deshalb spielt es mit dem Feuer.
Deutlicher als während „New Slaves“ wird Yeezus nicht: „Y'all
throwing contracts at me / you know that niggas can't read.“ Die
Musik gibt den Rest: Spartanisch, monoton, teuflisch - HipHop schafft
sich ab.
Nach
diesen schweißtreibenden ersten vierzehn Minuten beruhigt sich die
Stimmung ein wenig. „Hold my liquor“ erzählt von zügellosem
Hedonismus und Kontrollverlust. („slightly scratched your Corolla /
okay, I smashed your Corolla“) „You say you know me my nigga /
but you just really know the old me“ lauten die letzten Zeilen des
Refrains. Läuterung für Yeezus? Selbsterkenntnis gar? Man weiß es
nicht. Was man weiß, ist dass dieser West ein unglaubliches Talent
für Melodien und Arrangements besitzt. Das abschließende
Gitarrensolo zieht einem den Boden unter den Füßen weg, so schön
ist es, so sehr fällt es aus dem Rahmen.
Der
Weg des Lebemannes führt schnurstracks in die Finsternis.
Nachzuhören in dem völlig kaputten „I'm in it“, ein
zerschossener Bastard aus Ragga und atonaler Elektronik, in dessen
Verlauf Kanye auch vor kulinarischen Erkenntnissen nicht
zurückschreckt. („eatin' asian pussy, all I need is sweet and sour sauce.“) West bringt den Referenzen-Overkill, er ist der
Referenzen-Overkill. („uh, I go to sleep with a nightlight / my
mind move like a tron bike / make a wheelie on the zeitgeist“)
West
macht nicht nur den Wheelie, er dreht vollends ab. Der Folgesong
„Blood on the leaves“ ist eine Mischung aus gepitchten
Nina-Simone-Samples, martialischen Bläsern,
Timbaland-Gedächtnis-Beats und dem autogetuntesten Gesang seit
Eminems letzten Untaten. Klingt irre, ist irre, macht irre.
Unter all dem Lärm und Getöse ruht eine zerbrechliche
Klaviermelodie, wenige Akkorde reichen aus, um dem Song eine
melancholische Grundstimmung zu verleihen, obwohl links und rechts
die Hölle losgebrochen ist.
Nach
so einem Höhepunkt ist es nur natürlich, dass die Spannungskurve
ein wenig abfällt. „Guilt trip“ dümpelt ziemlich nichtssagend vorbei und „Send
it up“ weiß zwar mit einigen hübschen Ideen (stumpfer Beat,
Reggaegesang am Ende) zu punkten, an die radikal-spektakulären
Eröffnungstracks kommt es aber nicht heran.
Abgeschlossen
wird „Yeezus“ von dem versöhnlichen „Bound 2“, das nach all
den elektronischen Geräuschmassakern wie ein Fremdkörper wirkt -
und genau aus diesem Grunde den perfekten letzten Track abgibt. Die
Kälte und der Wahn sind verschwunden, West erzählt auf einem
geschmackvollen Soulgroove vom Zusammenfinden zweier Menschen, ohne
viel Getue, sondern „straight to the point“.
Ist
„Yeezus“ nun also wirklich ein Meisterwerk? Ja und nein.
Im Internet bin ich auf die schöne Formulierung „es ist
gleichzeitig unfassbar geil und unfassbar scheiße“ gestoßen, was
der Wahrheit wohl am nächsten kommt. Gerade die erste Hälfte ist
atemberaubend. Das Tempo, die abrupten Stilwechsel, die Sounds - alles in dieser
Form noch nicht dagewesen, alles beeindruckend. Leider kann
v.a das letzte Drittel mit der hohen Qualität des Restmaterials
nicht ganz Schritt halten, auch wenn „Send it up“ und „Bound 2“
alles andere als schlechte Tracks sind. Auch ist Rick Rubins
Produktion nicht immer über alle Zweifel erhaben. Die schiere
Lautstärke vieler Tracks zerrt an den Nerven, das Clipping mag zwar ein
bewusstes Stilmittel sein, gut klingen tut es nicht.
Die
Neuerfindung des HipHop ist „Yeezus“ gewiss nicht, denn trotz
aller musikalischen Grenzüberschreitungen bleibt Kanye West ein
relativ biederer Rapper, der weder formal noch textlich besonders innovativ oder virtuos auftritt. Die Treffer, die er jedoch landet, erwischen die Richtigen.
Glücklicherweise
ist das Album auf textlicher Ebene zu indifferent, als dass man ihm
eine Intention andichten könnte. Brutal ist es, schrill,
stellenweise richtig schmerzhaft. Relevant ist es definitv. Die
unbegrenzten Möglichkeiten für die die USA einst standen, haben viel
von ihrer einstigen Anziehungskraft verloren. Es geht bergab in
„God's own country“ und „Yeezus“ ist die ideale Begleitmusik
für die Abrissarbeiten.
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