Samstag, 6. Juli 2013

Kanye West - Yeezus (2013)

 8/10

Die Hypemaschine läuft auf Hochtouren. Alle einschlägigen Musikwebsites werfen mit Höchstwertungen um sich, das Feuilleton gleicht einem aufgescheuchten Bienenschwarm und sogar Onkel Lou kommt aus seinem Loch gekrochen, da er alles voll super findet. Schuld an dem Aufruhr ist ein bescheidener, mittlerweile nicht mehr ganz so junger Mann aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Gut, das mit dem bescheiden war gelogen. Das mit den unbegrenzten Möglichkeiten wohl auch, aber dazu später mehr.

Die Rede ist natürlich von Kanye West, der sich selbst ziemlich okay findet und auch nicht müde wird, dies der Welt mitzuteilen. Wenn er nicht gerade den Großkotz heraushängen lässt, oder US-Präsidenten beschimpft, nimmt West Platten auf. Und was für welche! HipHop alter Schule ist ihm schon seit Jahren zu langweilig, deshalb experimentiert er mit allen möglichen Genres, mal kaum („808s and Heartbeats“) mal sehr („My beautiful dark twisted fantasy“) überzeugend. Man kann ihm ja vieles vorwerfen, mangelnden künstlerischen Mut aber sicherlich nicht. West wagt viel, gerade in musikalischer Hinsicht. Und wenn er damit kolossal auf die Schnauze fliegt, steht er wieder auf und tut so als wäre nichts gewesen - Grammys kriegt er ja sowieso jedes Mal.

Denn er ist schon lange nicht mehr der Rapper Kanye West, er ist der Trendsetter, der neue Mozart, die definitive Verbindung aus Cash- und Rhymeflow. Kanye war gestern, „Yeezus“ ist heute.
Ja, es gibt ein neues Kanye-Album, wider Erwarten enthält es tatsächlich Musik. Und da wir hier ja unter uns sind, gebe ich auch gleich freimütig zu, dass ich diese Musik ziemlich großartig finde. Zehn Lieder sind auf „Yeezus“, nach gerade einmal vierzig Minuten ist der Spaß auch schon wieder vorbei. Bedenkt man aber, wieviele Ideen, Stile und Brüche sich in diesen vierzig Minuten befinden, scheint die Länge angemessen. Viel mehr „Yeezus“ würde man schlicht nicht aushalten.

Denn Kanye ist auf 180, dieser Mann macht keine Gefangenen. Das Feuerwerk, das in den ersten vier Tracks abgebrannt wird, lässt olympische Siegerehrungen wie Silvesterabende in deutschen Reihenhaussiedlungen aussehen. „On sight“, der Opener, macht sofort klar, was die Stunde geschlagen hat. Der puristische Synthiebeat kratzt und faucht, und West spuckt seine Zeilen als ob der Teufel hinter ihm her wäre. Und plötzlich bricht der Song in der Mitte auseinander, ein heimelige Soulmelodie erschallt. Alles doch nicht so schlimm? Von wegen. Mit Macht drängen sich die an kaputte Gameboys erinnernden Klänge zurück in den Vordergrund. Das ist Post-Rock.

Das deutlich von Depeche Mode beeinflusste „Black Skinhead“ führt den Loudness War auf eine neue Eskalationsstufe. Und dann dieser Text: „I'm aware, I'm a wolf / soon as the moon hit / I'm aware, I'm a wolf / back out the tomb, bitch / black out the room, bitch.“ Und auch wenn der gute Kanye im Geschichtsunterricht nicht ganz so gut aufgepasst zu haben scheint („I keep it 300, like the Romans“), ist seine Botschaft unmissverständlich: Scheiß Rassismus, scheiß Doppelmoral. Dass er sich dabei auch wenig ans eigene Bein pinkelt, mag ihm wohl bewusst sein, einen Unterschied macht es nicht, denn Kanye... ist Gott.

„I am a god“ beginnt mit einem Schrei, bevor unheilverkündende Samples über den Hörer hereinbrechen und ein fies grummelnder Basssound, der Subwooferherstellern die Freudentränen in die Augen treiben dürfte, sich breitmacht. Düster brütet der Rhythmus, Kanye steigert sich Vers um Vers, bis auch dieser Song in seine Einzelteile zerbricht und nur Urschreie übrigbleiben. Gastsänger Justin Vernon verkündet: „Ain't no way I'm giving up, I'm a god.“ Wessen Gott ist West? Sein eigener? Vielleicht verarscht er uns auch einfach alle und spielt uns den großen Zampano nur vor. Künstlertum als Marketingstrategie.

Wenn er uns verarscht, dann allerdings auf allerhöchstem Niveau. Es mag diskutabel erscheinen, ob Wests politische Message tatsächlich mehr als bloßes Heischen um Aufmerksamkeit ist. Fest steht, dass West eine Message hat, vor allem zwischen den Zeilen. Das große Kind möchte beachtet werden, und deshalb spielt es mit dem Feuer. Deutlicher als während „New Slaves“ wird Yeezus nicht: „Y'all throwing contracts at me / you know that niggas can't read.“ Die Musik gibt den Rest: Spartanisch, monoton, teuflisch - HipHop schafft sich ab.

Nach diesen schweißtreibenden ersten vierzehn Minuten beruhigt sich die Stimmung ein wenig. „Hold my liquor“ erzählt von zügellosem Hedonismus und Kontrollverlust. („slightly scratched your Corolla / okay, I smashed your Corolla“) „You say you know me my nigga / but you just really know the old me“ lauten die letzten Zeilen des Refrains. Läuterung für Yeezus? Selbsterkenntnis gar? Man weiß es nicht. Was man weiß, ist dass dieser West ein unglaubliches Talent für Melodien und Arrangements besitzt. Das abschließende Gitarrensolo zieht einem den Boden unter den Füßen weg, so schön ist es, so sehr fällt es aus dem Rahmen.

Der Weg des Lebemannes führt schnurstracks in die Finsternis. Nachzuhören in dem völlig kaputten „I'm in it“, ein zerschossener Bastard aus Ragga und atonaler Elektronik, in dessen Verlauf Kanye auch vor kulinarischen Erkenntnissen nicht zurückschreckt. („eatin' asian pussy, all I need is sweet and sour sauce.“) West bringt den Referenzen-Overkill, er ist der Referenzen-Overkill. („uh, I go to sleep with a nightlight / my mind move like a tron bike / make a wheelie on the zeitgeist“)

West macht nicht nur den Wheelie, er dreht vollends ab. Der Folgesong „Blood on the leaves“ ist eine Mischung aus gepitchten Nina-Simone-Samples, martialischen Bläsern, Timbaland-Gedächtnis-Beats und dem autogetuntesten Gesang seit Eminems letzten Untaten. Klingt irre, ist irre, macht irre. Unter all dem Lärm und Getöse ruht eine zerbrechliche Klaviermelodie, wenige Akkorde reichen aus, um dem Song eine melancholische Grundstimmung zu verleihen, obwohl links und rechts die Hölle losgebrochen ist.

Nach so einem Höhepunkt ist es nur natürlich, dass die Spannungskurve ein wenig abfällt. „Guilt trip“ dümpelt ziemlich nichtssagend vorbei und „Send it up“ weiß zwar mit einigen hübschen Ideen (stumpfer Beat, Reggaegesang am Ende) zu punkten, an die radikal-spektakulären Eröffnungstracks kommt es aber nicht heran.

Abgeschlossen wird „Yeezus“ von dem versöhnlichen „Bound 2“, das nach all den elektronischen Geräuschmassakern wie ein Fremdkörper wirkt - und genau aus diesem Grunde den perfekten letzten Track abgibt. Die Kälte und der Wahn sind verschwunden, West erzählt auf einem geschmackvollen Soulgroove vom Zusammenfinden zweier Menschen, ohne viel Getue, sondern „straight to the point“.

Ist „Yeezus“ nun also wirklich ein Meisterwerk? Ja und nein. Im Internet bin ich auf die schöne Formulierung „es ist gleichzeitig unfassbar geil und unfassbar scheiße“ gestoßen, was der Wahrheit wohl am nächsten kommt. Gerade die erste Hälfte ist atemberaubend. Das Tempo, die abrupten Stilwechsel, die Sounds - alles in dieser Form noch nicht dagewesen, alles beeindruckend. Leider kann v.a das letzte Drittel mit der hohen Qualität des Restmaterials nicht ganz Schritt halten, auch wenn „Send it up“ und „Bound 2“ alles andere als schlechte Tracks sind. Auch ist Rick Rubins Produktion nicht immer über alle Zweifel erhaben. Die schiere Lautstärke vieler Tracks zerrt an den Nerven, das Clipping mag zwar ein bewusstes Stilmittel sein, gut klingen tut es nicht.

Die Neuerfindung des HipHop ist „Yeezus“ gewiss nicht, denn trotz aller musikalischen Grenzüberschreitungen bleibt Kanye West ein relativ biederer Rapper, der weder formal noch textlich besonders innovativ oder virtuos auftritt. Die Treffer, die er jedoch landet, erwischen die Richtigen.

Glücklicherweise ist das Album auf textlicher Ebene zu indifferent, als dass man ihm eine Intention andichten könnte. Brutal ist es, schrill, stellenweise richtig schmerzhaft. Relevant ist es definitv. Die unbegrenzten Möglichkeiten für die die USA einst standen, haben viel von ihrer einstigen Anziehungskraft verloren. Es geht bergab in „God's own country“ und „Yeezus“ ist die ideale Begleitmusik für die Abrissarbeiten.

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