Freitag, 15. November 2013

Das erste Lied

Die frühe Kindheit kennzeichnet sich dadurch, dass man sich im Erwachsenenalter nur an sehr wenige Episoden erinnern kann. Eine verbrannte Hand, die einem physikalischen Experiment mit einer Herdplatte zu verdanken war. Ein Nikolausabend, der mit Angst und Schrecken (und einem kostümierten Onkel) verbunden war. Oder auch so einschneidende Erlebnisse wie der erste Tag im Kindergarten. (Es gab Suppe!)

Neulich habe ich versucht, mich an die ersten musikalischen Erlebnisse meines Lebens zu erinnern. Den Schleier des Nichtmehrwissens zu durchdringen, ist selbstverständlich alles andere als einfach. Ich weiß z.B. noch, dass ich im Grundschulalter permanent am Plattenspieler meiner Eltern gesessen bin*, und irgendwelche merkwürdigen Sampler aus den Achtzigern rauf und runter gedudelt habe. Besonders toll waren hierbei die LPs mit den Maxiversionen, denn dort gab es die guten Lieder in lang. Zudem versuchte ich mich bereits in jungen Jahren als "DJ", was dazu führte, dass ich erfolgreich den Motor des Plattenspielers zur Geistaufgabe brachte.

Mit ungefähr sechs Jahren war ein großer Fan von David Hasselhoff, und auch wenn ich kein Wort von "Looking for freedom" verstand, war mir damals schon unbewusst klar, dass man mit so einem Song Mauern zum Einsturz bringen konnte.

Doch was war das erste Lied, an das ich mich heute noch bewusst erinnern kann, ohne mich zu betrügen? Es gelingt mir nicht mehr, die exakte Reihenfolge meiner ersten prägenden Musikerlebnisse zu rekonstruieren, aber nach reiflicher Überlegung haben sich drei Kandidaten herauskristallisiert.

Der erste Song, den ich mit einer konkreten Lebenssituation verbinden kann, ist "Patrona Bavariae" des Original Naabtal Duos. Ein Lied, wie die CSU: Immens erfolgreich, hinterfotzig und nicht loszuwerden. Ich weiß noch, dass ich als kleiner Junge mit meinem Vater im Auto unterwegs war, und dieses Meisterwerk volkstümlicher Schlagerkunst aus dem Autoradio trällerte. 



Der zweite Kandidat ist der "Lambada", ein Werk das man wahrlich nicht ausführlich beschreiben muss. Es war Sommer, ich war vier oder fünf Jahre alt, und mein Onkel (der Nikolausmann) hatte Geburstag. Wir Kinder fetzten um das Haus, die Erwachsenen frönten dem Genuss des Gerstensaftes und aus den Lautsprechern erklang mindestens einmal pro Stunde diese Todesmelodie, die ich wahrlich niemandem als Ohrwurm wünsche. (Ich gehe davon aus, dass ihr trotzdem jetzt die Hauptmelodie im Kopf habt, für standhafte Seelen hinterlasse ich das Video als Versuchung.)



Schließlich gibt es noch ein Erlebnis, das mit sehr großer Wahrscheinlichkeit das früheste seiner Art war: Ich muss ebenfalls zwischen vier und fünf Jahren alt gewesen sein, als ich meinen ersten Cassettenrecorder geschenkt bekommen hatte. Das Gerät war quietschgelb, hatte große, schwergängige Tasten und ein eingebautes Mikrophon, welches sehr gut darin war, Rauschen aufzunehmen. 

Die Maschine fraß leider nicht nur Unmengen von Batterien, sondern auch Cassetten - vor allem, wenn den Batterien der Saft ausging. An einem Sonntagmorgen, mein Vater war gerade in der Küche mit der Zubereitung des Mittagessens beschäftigt (es gab sicher Schweinebraten), hatte ich wie besessen immer und immer wieder das selbe Lied gehört. Ich weiß beim besten Willen nicht mehr, von wem es war, sondern kann mich nur noch grob einiger Klangeigenschaften erinnern:

Der Sänger besaß eine tiefe Stimme, das prägendste Instrument waren tiefe Synthiebässe, die in Verbindung mit einem scheppernden Schlagzeugsound - der wohl auch auf das High-End-Abspielgerät zurückzuführen war - ein infernalisches Geräusch erzeugten. Das Tape stammte aus dem umfangreichen Cassettenfundus meines nächstälteren Bruders, und ich vermute, dass es sich bei dem Song um irgendeinen Industrial-Pop-Song aus den Achtzigern handeln musste. 

Wie dem auch sei, ich fand das Stück ganz und gar wundervoll. So wundervoll, dass ich es hörte, die Cassette zurückspulte, es wieder hörte, undsoweiter. Bis jenes vermaledeite Geräusch aus dem Recorder drang. Jeder, der so wie ich in der Steinzeit aufgewachsen ist, weiß, was passiert war. 

Bandsalat.

Auch verzweifelte Reparaturversuche meinerseits konnten den entstandenen Schaden nicht rückgängig machen. Das Tape war im Arsch, und hatte mein erstes Lieblingslied für immer verloren. 

Eine unglaublich spannende Geschichte. Beim nächsten Mal erzähle ich euch von dem Tag, an dem ich zum ersten Male einen Elefanten gesehen habe. Oder auch nicht.

* Süddeutsch, Junge.

Mittwoch, 13. November 2013

Eminem - The Marshall Mathers LP 2 (2013)

5/10

Es gab eine Zeit, in der Eminem der berühmteste Musiker der Welt war. Selbst Menschen, die mit HipHop ansonsten reichlich wenig anzufangen wussten, referierten plötzlich glasigen Blickes über die Genialität der Sprechgesangskunst dieses wasserstoffblondierten Reimemonsters. Im Jahr 2000 war Eminem der heißeste Scheiß. Jede Single ein Hit, jedes Video auf Dauerrotation.

Das Album zum Eminem-Hype hieß "The Marshall Mathers LP", ein neunzehn Tracks umfassendes Feuerwerk, das aus heutiger Perspektive durchaus als maßgeblicher Impulsgeber für die große Rapwelle Anfang des vergangenen Jahrzehnts bezeichnet werden muss. Eminem gelang es nicht nur, die Lücke zu füllen, die 2Pac und Biggie hinterlassen hatten, er gewann den Mainstream für sich. Badboy-Image, Skandale zur rechten Zeit und die extrem einprägsamen Songs taten ihr Übriges.

Die "MMLP" markiert sicherlich den Höhepunkt in Eminems Diskographie. Nie war er relevanter, nie war er besser gewesen. Bald darauf sollte es steil bergab gehen. Spätestens seit dem gruseligen "Comeback-Album" "Relapse" war endgültig der Ofen aus und die Katze erfroren. Auch das 2010er-Werk "Recovery" konnte nur stellenweise davon ablenken, dass sich die Welt ein ganzes Stück weit unter Eminem weggedreht hatte. 

Dass sich Mr. Mathers dessen durchaus bewusst ist, zeigt der Titel seines neuen Albums: "The Marshall Mathers LP 2" hat er es genannt, und wer hier einen Publicity-Stunt wittert, besitzt garantiert nicht die schlechteste aller Nasen. Eminem will und muss sich noch einmal unmissverständlich zu Wort melden, um nicht das Schicksal aller anderen in der Versenkung verschwundenen Pop-Größen zu erleiden - und es bietet sich natürlich an, sich hierbei auf jenes Album zu beziehen, das allen noch am besten im Gedächtnis geblieben ist.

Dass so eine Aktion auch fürchterlich daneben gehen kann, muss nicht ausführlich diskutiert werden. Meat Loaf, Mike Oldfield und Jay-Z sind nur drei von vielen Beispielen für gescheiterte Karrierereanimation durch Leichenfledderung. 

Ein Eminem möchte sich indes nicht nachsagen lassen, nur halbe Sachen zu machen, weswegen bereits im Opener "Bad guy" ein direkter Anschluss zur "MMLP" hergestellt wird: "Stan" ist tot, und dessen Bruder sinnt auf Rache. Der siebenminütige Song ist ein Triumph, besonders der sich famos steigernde Schlusspart muss sich kein bisschen vor vergangenen Großtaten des Rappers verstecken. 

Dass Eminem das Rappen nicht verlernt hat, haben auch seine weniger guten Alben der jüngeren Vergangenheit gezeigt. Das Hauptproblem des Künstlers ist jedoch seit längerer Zeit, dass er nicht mehr wirklich viel Neues zu erzählen hat. Kaum ein anderer ist in der Lage derart virtuos mit Wörtern und Rhythmen zu spielen, und kaum ein anderer ist technisch derart versiert wie Marshall Mathers.

Die pure technische Brillanz von Tracks wie "Rap god" ist daher eindrucksvoll, nur leider verpuffen auch auf der "MMLP2" viele der halsbrecherischen Reimstunts relativ wirkungslos ob der inhaltlichen Wüste, in der sie stattfinden. Spaß macht es definitiv, Mathers bei der Arbeit zu lauschen, richtige Überraschungen bekommt er allerdings nicht mehr auf die Kette.

Fairerweise muss aber angemerkt werden, dass es etliche Songs gibt, die trotz jener eher ermüdenden Aufwärmerei oller Kamellen ("ich bin böse", "meine Kindheit war Mist", "Mama ist die Beste") großen Unterhaltungswert besitzen. So ist beispielsweise das von Rick Rubin produzierte "Rhyme or reason" ebenso catchy wie intelligent gemacht. Beat und Rap ergeben eine swingende Einheit, und selbst ein von Em gesungener Refrain schafft es nicht, einen vom Kopfnicken und Mitsummen abzubringen.

Auch "So far..." (ebenfalls mit Rubin an den Reglern) und der Schlusstrack "Evil twin" nehmen  charmant alte Ideen auf und überführen sie auf gelungene Art und Weise in die Gegenwart. 

Doch in der Mitte des Albums lauern einige Schrecknisse. "Asshole" (mit einer computergenerierten Skylar Grey im Refrain) ist ungefähr so spannend wie das neue Samy Deluxe-Mixtape. Richtig schlimm ist "Berzerk", welches einen eindeutigen Beweis dafür liefert, dass die Achtziger vorbei sind - egal, wie oft man sie noch in Zitatform hochwürgt. 
Ja selbst Rihanna darf wieder mit ihrer Engelsstimme ein Lied verelenden, wobei "The monster" auch ohne die Beteiligung des Fluchauslösers aus der Karibik eine ziemlich fade Angelegenheit wäre.

Mit Spannung erwartet wurde das Feature mit dem neuen HipHop-Wunderkind Kendrick Lamar. Und obgleich dieser Track ("Love game") mit Humor und Selbstironie zu punkten vermag, offenbart er auch, dass Eminem im Jahr 2013 noch immer nicht verwunden zu haben scheint, dass es Frauen auf der Welt gibt.

Über den teils widerlichen Sexismus und die in manchen Songs noch immer offen zur Schau getragene Homophobie möchte ich jetzt nicht übermäßig zeigefingern. Es bleibt lediglich festzustellen, dass in der causa Mathers das Alter nicht direkt mit einem Zugewinn an Weisheit verknüpft zu sein scheint. Nötig oder angemessen ist der ganze Schrott auch im Jahr 2013 nicht.

Das Fazit? Die Raps sind gut, aber verkommen all zu oft zu bloßer Wortakrobatik. Die Beats hingegen sind bestenfalls mittelmäßig - eine Tatsache, die umso mehr auffällt, wenn man sich zu Vergleichszwecken die originale "MMLP" zu Gemüte führt. 

"The Marshall Mathers LP 2" ist alles in allem das beste Eminem-Album seit zehn Jahren. Der kreative Befreiungsschlag ist Slim Shady allerdings wieder nicht gelungen.

Dienstag, 12. November 2013

M.I.A. - Matangi (2013)

 8/10

Während andernorts Lady Gaga die Verkunstung des Pop propagiert und dabei zielstrebig dem Abstellgleis entgegenwackelt, hat Mathangi Arulpragasam (besser bekannt als M.I.A.) Interessanteres im Sinn. Die britische Musikerin mit Wurzeln in Sri Lanka erreicht auf ihrem vierten Longplayer "Matangi" wieder einmal das, was Frau Germanotta wohl auch in drei Alben nicht auf die Reihe gebracht haben wird: Eine funktionierende Verbindung aus innovativen Elementen, nihilistischem Pop und der puren Lust am Sound.

"Matangi" nervt wie Sau - und das ist gut so. Beinahe jeder Track beinhaltet harte Bruchstellen, nur selten hält ein sofort nachvollziehbares Songschema die Stücke zusammen. Im Mittelpunkt des kurzweiligen Exzesses steht die durch alle erdenklichen Filteranlagen gejagte Stimme Arulpragasams. Mal säuselnd, mal rappend zieht M.I.A. alle Register ihres Könnens. Dass dabei nicht immer sonderlich tiefsinnige Botschaften vermittelt werden, ist zweitrangig, wobei zugegebenermaßen kaum jemand cooler "boomshakalaka" sagen kann als M.I.A.

So ganz ohne politische Aussagen geht es aber natürlich auch nicht, was beispielsweise das clevere "aTENTion", welches anspielungsreich zur Flüchtlingsproblematik Stellung bezieht. ("Our borough is long like a senTENTs, it's inTENT bitches, it's insTENT. we live with disTENT to presiTENT, for atTENTion about my TENT.)

Die Musik ist eine ebenso eklektische wie elektrisierende Melange aus indischen Melodien, Grime, Jungle, Step-Varianten eurer Wahl und HipHop. Trotz aller verrückten Störelemente und Dissonanzen entwickelt "Matangi" einen immensen Flow, welcher nicht nur Epileptiker auf die Tanzflächen dieser Welt treiben dürfte. Eine gewisse Vorliebe für Tempowechsel und überraschende Klapsmühlenragas sollte man jedoch mitbringen. 

Ohne Zweifel ist das bereits Anfang 2012 als Single erschienene "Bad girls" der Hit des Albums, der Song erinnert stark an jene Zeit als Timbaland noch nicht ausschließlich Müll produzierte und Aaliyah noch unter den Lebenden weilte. Was für ein fieser Ohrwurm, was für ein fantastisches Sample.

Auch "Bring the noize" und "Y.A.L.A" (eine augenzwinkernde Antwort auf den unsäglichen YOLO-Blödsinn) sind nicht ohne Hitpotential, wobei erstgenannter Song auch ganz hervorragend für der nächste Messevorführung einer Presslufthammerfirma geeignet wäre. Das ist Krach, und Krach macht Spaß.

Langweilig wird das Album indes nie. Dass es 57 Minuten dauert, merkt man erst beim erstaunten Blick auf die Uhr, nachdem Stille eingekehrt ist.

An manchen Stellen ist die Musik allerdings nicht ganz so radikal, wie sie sich gebärdet, was gerade im Hinblick auf frühere M.I.A.-Alben als Schwäche ausgelegt werden kann. Besonders "Exodus" und dessen Zwilling "Sexodus" pluckern ein bisschen zu brav aus den Boxen, um vom Hocker zu reißen. Diese kleineren Schönheitsfehler werden durch die zahlreichen Highlights aber mehr als wettgemacht.

"Matangi" könnte mein ganz persönliches Album des Jahres werden. Weil es anders ist. Und weil es nervt wie Sau.

Abschließend soll das herrlich hässliche Cover nicht unerwähnt bleiben. Das rot-grüne Konterfei der Sängerin mit neongrünem Schriftzug reiht sich nahtlos in die an optischen Grausamkeiten nicht arme Diskographie Arulpragasams ein.